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Wort

Liegt die Poesie im Sterben? Vielen würde ihr Verschwinden wohl gar nicht auffallen.

Dabei ist es in Zeiten von Populismus wieder notwendig, mit Mehrdeutigkeiten umgehen zu lernen, in Phasen von Sprachlosigkeit wieder Worte zu finden und in Momenten der Überforderung wieder inne zu halten. Das Lesen von Gedichten und das Studium des kreativen Schreibens hat mein Leben entscheidend bereichert und verändert. Durch Schreiben lässt sich eine undurchsichtige angstvolle Lage erklären oder eine unbestimmte Freude fassen und bannen.
Ein schreibendes Ich ist großen Unsicherheiten ausgesetzt. Es braucht Halt an neuen Wörtern, um sich immer wieder neu ins Leben zu rufen.

Ein gutes Gedicht lässt alles weg, was nicht gesagt werden muss und es zwingt den Leser, das Ungesagte zu hören – wenn er denn will. Hier ein brotloses Geschenk, um das Aussterben der poetischen Schreibästhetik aufzuhalten:

Achtung, Achtung! (2019)

rares spüren
taggegeißelter
sehnsuchtsschwangerer

an stichtagen
falschgeparkter
kosten in minuten

abschiede
atemberaubter
freigänger

Bitte ignorieren Sie weiter!

Hier gibt es nichts zu sehnen!

Moment (2018)

Warmbrüstig lagert sie still ihren Kopf
Tief atmend bis ein Schmerz aus ihrem Rücken flieht
Weitum verblasst der Lärm
Tief atmend während er auf sie hinuntersieht.

Haut auf Haut auf Haar, getaucht in Tuch
Gelebtes. Fernes. Er zeichnet ihre Narben nach
Weitum erstirbt der Tag
Tief atmend während stillstehende Zeit vergeht.
Tausendfach.

Kleine Falten wie in Sand gepeitscht
Sein Herzschlag rast mit ihrem Atemzug
Weitum beschlägt das Glas
Noch lange nicht. Auch wenn das Leben schreit.
Genug.

Fuhlsbüttel (2020)

Heute aß ich schwarze Tomaten
Ich schalkte die Säfte für eine Zeit
Kinder-Sinnen im Schrebergarten
Aus Frottee mit Blumen ein Kleid

Summen und Zirpen im wilden Gras
Opas vertraut leises Husten
vom fernen Krieg und Hamburger Nass
beim sorglos in Milchkraut-Pusten

Omas klebrige Plastikdecke
Klappernde Perlwand vor der Tür
Brennnesseln in der Kompostecke
Wo ich mich verstecke vor Dir

Erbsenschoten auf Deinen Knien
Unendlich viel Sommer und Ruh
Flugzeugbäuche voll Menschen die fliehn
Entdeckst mich- Tick. Jetzt bist Du

Scheinheiligabend (2020)

Eure Regeln werden unter uns gebrochen
In Euren Reihen will ich toben
mit vollen Gläsern werfen
Dein Gesicht wird langweiliger
von Jahr zu Jahr
Falten wie gesessen, nicht gelebt

Phrasen, kehliges Lachen,
stumme Klagen, die ins Essen platschen,
Gabeln und Wahrheiten verbiegen
Am Goldrand der Verzweiflung
blickst Du nie über den selbigen

Mein inneres Regnen
verherbstlicht alle Anfänge
Drei lauwarme Tage und
versehentliches Knospen
lässt mich nach Nordwind sehnen

Sympatikotone Phase
Trotziges Luftholen in der Exosphäre
Sterben in Schönheit
Patetisch poetisch im Suff
Promillimeter am guten Rausch vorbeigeschrammt

Scheinheiligabend ein Lächeln
Ablenken von der Neonschrift
auf unseren Stirnen:
„Lasst mich frei!“
Es war wieder so nett

An der Tür eine letzte liebe Lüge
Du bleibst.
Es bleibt.
Das Gefühl.
Der Druck.
Das Falsch.
Der Text auf der Stirn.
Der Baum.
Ich glaube ihn verzweifelt wurzeln zu spüren.

Verpasst (2020)

Ein eckiger Gedanke
fiel mir in den Weg
Ich stolperte
brach mir den Mut

Er zerbarst in tausend Würfel Zweifel
Ich baute mir daraus ein Bett
und träume jetzt vom Tanzen

Ochsenhunger (2019)

Ich fress die Wärme
bis ich frierend speie
stülpe all mein Innen
in die Welt
bis ich Hülle bin im Drinnen

Kaum kauend schlinge ich
der Mutter zum Gefallen
„Nähre Dich mein Kind“
Vaters Bild der Weiber Form
für Folgen feiernd blind

So glaubst Du hungernd
für zwei zähe Tage
wirst Du bald liebenswerter sein
um dann doch maßlos Trost zu lecken
gescheitert unter Druck-am Schein

Und wieder brech ich Speis und Regeln
Und wieder bricht der Wille mich
Und wieder wiegen hundert nette Worte
nicht halb so viel wie dieser Stich
Und an den Knochen hängt die Scham
wie weiße weiche Haut
Dein Frauenbilderschaffen
hat das Selbstbild mir versaut

Neulich (2019)

Neulich traf es mich ganz überraschend.
Ich war noch traurig und erschöpft vom Leben allgemein.
Da durchzog mich rotorange, fast heiß ein anderes Sein.

Ich atmete ein und aus.

Die Pfütze vor mir wurd ein Lichterspiegel
und die alte Frau neben mir roch leicht nach Zimt. 
Eine Taube landete adlergleich auf einer Rinne
und irgendwo lachte ein Kind.

Der Regen stand still in der Luft. 
Ich atmete ein und aus. Die Lungen weit.
Meine Haut ein weißes Laken, bespielt von winzigen Körpern,
wie ein aus Lust gewebtes Kleid.

Ich atmete ein und aus.

Dann fiel der Regen wieder.
Der Duft verschwand.
Der Vogel floh. Das Licht wurd grau und Straßenlärm zerriss roh
das Bild in mir.
Meine Haut, nass und kalt, wie die Pfütze zu meinen Füßen.

Doch Trauer und Erschöpfung sahen in rotorange nur aus
wie Sehnsucht und Begehren.
Mein Schritt wurd schneller.

Ich atmete ein und aus, Herzschläge zu vermehren.
Du und Zimt und Laken. Ich will nach Haus.

Unbedacht (2019)

Als hätte der Tod Dir wie ein falscher Freund seinen kalten dürren Arm um Deine verspannten Schultern gelegt und führte Dich nun durch die Welt, die wir so unbedacht das Leben nennen.
Alles was er Dir nun zeigt, ist Dir bekannt.

Nichts was er Dir nun zeigt, ist noch vertraut.

Was er Dir nahm, war niemals Deins. Nimmt er Dir Deins, so wird es wohl Dein Ende sein.

 

Als hätte der Tod Dir wie ein zynischer Krieger Deinen eigenen Kopf auf einem Petersilienbett serviert und lüde Dich nun ein zum Leichenschmaus mit Abgesang.
Deine Mutter machte Dich zum Kinde.

Ein einst Fremder zu seiner Liebe.


So einige machten Dich zum Freund.

Und manche auch zum Feind.

Viele Rollen gab das Leben Dir. 

Freundin, Mutter, Geliebte, Schwester

Und einer macht Dich jetzt zur Hinterbliebenen: trauernd, verneinend, weinend

Als hätte der Tod Dir wie ein eiliger Bote die Nachricht gebracht, auf die Du nicht gewartet hast und für die Du keine Tür Deines Hauses öffnen wolltest.
Mit einem schwarzen Pinsel malt er Deine Augen an.
Mit zähem Wachs verstopft er Deine Ohren.
Mit kaltem Blei füllt er Deine Adern.
Und lässt Dich blind und taub und schwer zurück in der Welt, die wir so unbedacht das Leben nennen.

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